Was mir an ihrer künstlerischen Orientierung schon während unserer gemeinsamen Zeit am Institut für Kunstgeschichte aufgefallen ist, war ihre damals als schräg angesehene Neigung für die englischen Präraffaeliten mit ihren schmalzigen, emotionstriefenden Heldinnen und Helden, die sich leicht melancholisch in Pathosformeln winden. Da konnte damals kaum einer mit, ich auch nicht, aber Frau Freiberger war in ihrer Sympathie für die dubiose Sache so fest und sicher, dass ihre Begeisterung fast ansteckend wirkte, wenn die Rede auf Dante Gabriel Rossetti oder Holman Hunt gekommen ist. Ich glaube, was da so faszinierend gewirkt hat, war einerseits der klare klassische Formen- und Farbenkanon, wie er von Raffael vor guten 450 Jahren perfektioniert worden war; andererseits die forciert zum Ausdruck gebrachte Gefühlswelt, wie sie sich aus der Romantik heraus entwickelt hatte, und besonders natürlich die Kombination aus beiden Phänomenen. Mir war das damals einfach zu kitschig, aber derartige Einwendungen wurden mit einem Plädoyer für den Kitsch in den Boden gerammt. Diese Neigung zum Kitsch hat sie später als offensive Attitüde in ihren Plunderorden eingesetzt und spielt damit bis in die aktuellen Blätter des heute publizierten Zyklus. Die bekannteste Definition zu Kitsch beschreibt ihn als Rührung über die eigene Rührung, als Gefühl aus zweiter Hand also, oder als Emotion aus der Recycling-Maschine.

Die zweite Ebene, dieses Wiederkäuen des bereits Verarbeiteten, hat eine ganz andere Qualität als eine direkte, anlassbezogene Emotion. Auf diesem Niveau passiert sehr leicht eine Entgleisung, aber wer im Bändigen von gerührter Rührung so meisterhaft agiert wie Freiberger, der darf eben die feine Klinge schwingen und kann einen Gefühlsanstoß auch sicher über die emotionale Bande ins Ziel spielen.

Die zweite Ebene spielt auch im Formalen die erste Geige, auch hier wird aus einer Flut von bereits geleisteten, gefundenen Bildern und Bildstücken eine Auslese getroffen und in ein neues Ganzes überführt. Diese Bildformen stammen aus immer gleichen Typen: Es gibt immer Landschaft, also einen Boden, einen Himmel, meistens Berge, oft Wasser. Es gibt Architektur, viele Türme, Herrschaftshäuser, Wolkenkratzer. Die Hauptrolle spielen aber immer Menschen, oder besser Bilder, die sich bereits andere Menschen von anderen Menschen auf ihre ganz eigene Weise gemacht haben, und Schrift-Stücke, die bereits andere Schriftsteller in andere Zusammenhänge gestellt haben. Deshalb wohl auch der altertümliche Schrifttyp, der unwillkürlich an alte Schmachtromane von AutorInnen auf den eher hinteren Rängen der literarischen Weltgeltungsskala denken lässt.

Aus diesen Zutaten entsteht in allen Varianten eine Komposition, die auf einer höchst spannungsreichen Konfrontation der Elemente basiert. Diese Spannung kann formaler, aber auch inhaltlicher Natur sein; formaler Harmonie steht inhaltliche Dissonanz gegenüber, die wiederum in den meisten Fällen in ironische Distanzierung abgemildert oder auch geschärft ist. Assoziatives Ineinander und Aneinander leiten den Schöpfungsakt genauso wie auch den Betrachter. Aus diesem Mit- und Gegeneinander der Bildteile baut Freiberger ihre Geschichten und bauen wir Betrachter die unseren. All diese Erzählungen sind aber schon zweite oder x-te Geschichten, sie alle stammen aus anderen Begebenheiten und waren Symbole für andere Bedeutungen.

Letztlich haben alle diese Collagen eine Funktion wie ein Schanzentisch, auf dem wir als Gefühlsflieger hinuntersausen, um schließlich in unseren eigenen Geschichten, in unserem eigenen lieben Leben zu landen.

Es stellt sich beim Durchblättern des Buches auch die Frage, ob es da wohl eine übergeordnete Geschichte zu entdecken gäbe, die sich aus den einzelnen Kapiteln, sprich Blättern, ergäbe.

Sicher gibt es die, aber sicher gibt es nicht nur eine, und die Andrea ist sich nicht mehr ganz sicher, ob es da je eine gewollte dahinter gegeben hat.

„So, so, sei nun ruhig, Kind" lautet einer der Sprüche im LiebesLeben, und dem will ich auch folgen. Wie Sie sicher schon bemerkt haben, ist Andrea Freibergers LiebesLeben manches Mal ein böses Leben, ein gar nicht liebes Leben, manchmal möglicherweise ein schlechtes, aber ich hoffe, meistens ein so gutes und beglückendes LiebesLeben, wie das seit heute zwischen den zwei Deckeln vorliegende, zu dem ich ihr mit meiner vollen Begeisterung gratuliere.