Auf den ersten, flüchtigen Blick muten die kleinteiligen, minutiös strukturierten Blätter ja als Ornamente im besten Sinn des Wortes an. Von den bekannten Freibergerschen Bildfindungen, die detailreich Geschichten erzählen, unterscheiden sich die „Kaleidoskope" durch völligen Mangel an narrativen Elementen. Die Bilder stellen keinerlei Handlung dar, sie bauen weder zeitlich noch räumlich eine Illusion der Tiefe auf, sie scheinen gänzlich abstrakt, musterhaft und auf die Fläche beschränkt. Den kundigen Blick erinnern die strengen Formationen indessen sofort an dekorative Dessins, wie wir sie aus dem Bereich der Stoff- und Tapetenproduktion kennen. In zahllosen Variationen loten diese Bilder Möglichkeiten der geometrischen Flächengestaltung aus, was in der Zusammenschau wiederum an Vorlagenbücher gemahnt, wie sie im 19. Jahrhundert in Mode kamen. Damals stellten Kunstschaffende umfangreiche Mustersammlungen zusammen, um die Vielfalt ornamentaler Gestaltungsformen, die sich über Jahrhunderte entwickelt hatte, weiter zu geben und damit, ganz im Sinne des Historismus, kulturelle Traditionen quasi stilrein zu bewahren.


Nun ist ja das Ornament, das spätestens seit Adolf Loos einen fragwürdigen Ruf genoss, - ich zitiere aus seinem berühmten Aufsatz „Ornament und Verbrechen": „Evolution der Kultur ist gleichbedeutend mit dem Entfernen des Ornamentes aus dem Gebrauchsgegenstande", - wider alle Unkenrufe der Moderne bis heute allgegenwärtig. Gerade in den letzten Jahren erlebte es in der Architektur und im Design ebenso wie in der Mode und in der Werbung eine ungeahnte Renaissance, es gilt heute als Ausdruck einer neuen Sehnsucht nach Schönheit und wohl auch nach der Sicherheit tradierter Werte. Darauf antwortet Andrea Freiberger, in deren künstlerischem Schaffen das Ornamentale seit jeher eine wichtige Rolle spielt, mit kritischem Impetus und lustvollem Augenzwinkern. Denn in den formal reduzierten und vermeintlich inhaltslosen Formen ihrer Bildfindungen thematisiert sie die Geschichte der Ästhetik und zeigt die Funktion und Bedeutung des Dekorums in der Entwicklung von Gesellschafts- und Herrschaftsstrukturen auf.


Ausgangspunkt aller Arbeiten sind Architekturaufnahmen und Stadtansichten. Für die Künstlerin fungiert „die Kamera als Schere, die das Basismaterial liefert" und zwar in Form von Nahaufnahmen des urbanen Raums. Sie lichtet Fassaden, Schilder, Sessel, Fahrräder ab und schneidet aus diesen Bildern unspektakuläre, alltägliche Details aus, die am Computer vervielfältigt, gewendet, gedreht, gespiegelt und zu neuen Motiven zusammengesetzt werden, was das Abgebildete aus dem ursprünglichen Kontext löst, zum grafischen Elemente erklärt und zu völlig neuen Bildfindungen amalgamiert.


Formal betrachtet dominiert in den Arbeiten eine straffe Bildorganisation mit einem streng geometrischen Raster, der auch als unendlicher Rapport fortführbar wäre, wodurch sich die Kompositionen in jeder Hinsicht der Begrenzung und Orientierung entziehen. In diesem Over-all-Schema finden nun Strukturuntersuchungen statt, die spielerisch vom Großen zum Kleinen führen, vom Straßenbild zum Riss in der Mauer etwa. Die feinmaschigen Arrangements machen es fast unmöglich, das ursprüngliche Bildmotiv zu erkennen. Zudem vermittelt die Loslösung einzelner Fragmente aus ihrem Bezugsrahmen eine seltsame Eindeutigkeit sowie eine gewisse Distanz zum betrachteten Objekt. Je abstrakter das Ornament ist, desto stärker erscheint das Grundmotiv als eigenständiges Muster. Nicht zuletzt filtern die Kompositionen in ihrer kühlen Serialität alles Emotionale und Handschriftliche heraus, wobei der Computer als ideales, weil aktuelles und methodisch adäquates Gestaltungsinstrument fungiert, was wiederum dem expliziten Misstrauen der Künstlerin gegenüber dem subjektiven Gestus entspricht. Kunst ist hier eben nur vordergründig reine Arbeit an der Form, bestimmt durch die Suche nach Harmonie in der Komposition. Trotz oder vielleicht gerade wegen der erklärten Negation jeglicher Bedeutung, berühren Freibergers zwischen Konstruktion und Intuition pendelnde Arbeiten diffuse Sinnschichten. Abstraktion darf dabei auch als ein gesellschaftliches Modell verstanden werden, als eine Utopie, ein Gleichnis gesellschaftlicher Zustände, in dem das Unterschiedlichste und Widersprüchlichste in größtmöglicher Freiheit zusammengebracht werden kann.


© Edith Almhofer, Gumpoldskirchen/Wien 2008